Cinzia Scaffidi ist eine freie Journalistin, die über globale Nahrungsmittel- und Umweltfragen schreibt und diese Themen an der Universität für Gastronomische Wissenschaften und anderen Lehrstätten und Instituten unterrichtet. Sie arbeitet auch direkt mit einigen Firmen zusammen, vor allem in der Ausbildung von Mitarbeitern.

 

Cinzia ist Vizepräsidentin von Slow Food Italien und war bis 2015 auch Koordinatorin des Wissenschaftlichen Ausschusses der Slow Fish Veranstaltung. Sie war von 1992 bis 2015 Teil des Stabes von Slow Food. Sie hat mehrere Veröffentlichungen unter ihrem Namen, darunter "Guck Dir das Meer an" (“Guarda che mare”) im Jahr 2008 (Slow Food Editor), das sie zusammen mit dem Meeresbiologen Silvio Greco geschrieben hat, und "Fisch - wie kann man auswählen und das Meer achten?" (“Pesce – come sceglierlo e rispettare il mare”) im Jahr 2017 (Slow Food Publisher, in der Reihe Slow Life).

Anlässlich der jüngsten Ausgabe von Slow Fish in Genua haben wir die Gelegenheit ergriffen, Cinzia Scaffidi einige Fragen zu stellen.

MM: Woher kommt Deine Begeisterung für das Meer?

CS: Ich bin in Sizilien geboren, obwohl ich noch nie dort gelebt habe, weil meine Familie nach Piemont zog, als ich ein Jahr alt war. Allerdings habe ich die langen Sommerferien der Kindheit und Jugend in unserem sizilianischen Haus verbracht, und ich glaube, da habe ich meine "Erziehung zum Meer" erhalten. Dann traf ich bei meiner Arbeit bei Slow Food (ich war Teil des Mitarbeiterteams von 1992 bis 2015), Silvio Greco. Im Jahr 2008 haben wir dann gemeinsam das Buch "Guck Dir das Meer an" veröffentlicht, das von Slow Food Editor veröffentlicht wurde. Von ihm habe ich viel gelernt. Was vorher nur Leidenschaft und Anziehungskraft des Meeres als ein Landschafts- und Ästhetik-Element war, wurde nun mit Inhalt zu den wichtigsten Themen gefüllt: Verschmutzung, Klimaerwärmung, Überfischung, Rolle der Verbraucher.

MM: Es gibt so viele Berichte über den besorgniserregenden Zustand des Meeres, vor allem das Mittelmeer. Was sind die drei wichtigsten Bedrohungen?

CS: Es ist schwierig, eine Rangfolge zu machen, denn alle Faktoren, die dem Meer Schaden zufügen, werden ständig wichtiger und verstärken sich wechselseitig. Wir können mit der Verschmutzung beginnen, vor allem von Plastik, aber ohne zu vergessen, dass jede Substanz, die die Synthesechemie im letzten Jahrhundert erfunden hat, in unseren Meeren vorhanden ist. Die ganze Verschmutzung des Meeres kommt - irgendwie - vom Land. Wir müssen uns dessen bewusst sein. Und wir müssen uns daran erinnern, dass, auch wenn wir vom Meer weg leben, alle unsere Handlungen früher oder später Konsequenzen auf die Meere haben, direkt oder indirekt. Denkt an die chemische Düngung unserer Felder, an die fehlende Trennung von Abfällen, die Verwendung von nicht biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln und Kosmetika oder an die Vermeidung von CO2-Emissionen durch geringere Benutzung des Privatautos und - wenn wir Stadtverwalter sind - die Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel.

Ein weiteres Thema ist der Klimawandel, der - auch wieder - durch die menschlichen Entscheidungen und Verhaltensweisen verursacht wird, die wir an Land treffen. Das Thema sind die höheren Temperaturen, sowohl der Luft als auch der Gewässer, die Versauerung der Meere, die durch unsere CO2 Emissionen bewirkt wird, knapper werdender Niederschlag zB im Mittelmeerraum; dadurch sinken das Niveau und die Reichweite der Flüsse und erhöht so den Salzgehalt des Meeres. Und selbst in den Übergangszonen versalzt der Anstieg des Meeresspiegels die Süßwasserreserven im Boden ... all dies führt in kurzer Zeit zu epochalen Ungleichgewichten, bringt das Leben ganzer Bevölkerungsgruppen durcheinander, macht einige Küsten unbewohnbar, bewirkt den Verlust ganzer Gegenden für die Nahrungsmittelproduktion, die früher für die Landwirtschaft genutzt werden konnten ...

Und ich schließe mit der Frage der Überfischung, bestimmt durch eine gedankenlose Verwendung der Fischressource, bei der alles als irgendeine Ware behandelt wird, die ausgewählt, verschwendet, gekauft oder weggeschmissen werden kann. Wir Bürger kaufen Fisch mit derselben Haltung, wie wir jedes industrielle Produkt kaufen, einschließlich das Essen. Aber im Meer gibt es keine Produzenten, das Meer hat Rhythmen, die von der Natur diktiert werden. Sie können sich nicht an die des Marktes anpassen. Wir müssen lernen, mehr über Fische zu wissen, sie besser auszuwählen und zuzuberiten, und zwar die, die wir auf dem Markt finden, weil sie an diesem Tag gefischt wurden. Wenn wir fordern, nur das vorzufinden, was es uns bequem macht, oder was wir in einem Missverständnis des Geschmacks für besser halten, sollten wir besser innehalten und noch einmal denken

MM: Hast du nach so vielen internationalen Verhandlungen Fortschritte für die Erholung des Meeres gesehen? Wir stehen kurz vor der Ozean-Konferenz, bei der diskutiert wird, wie wir Ziel 14 der Nachhaltigen Entwicklungsvorgaben erreicht.

CS: Einige Ergebnisse stellen sich von Zeit zu Zeit ein, allerdings sehr langsam. Einige Flüsse wurden von massiver Verschmutzung befreit, einige Arten beginnen eine Erholung, wenn die Regeln eingehalten werden. Aber wir brauchen viel mehr Ergebnisse und das viel schneller, denn diese extrem langsamen Rhythmen, dass sie Gefahr laufen, auch positive Signale nutzlos zu machen. Es besteht die Notwendigkeit einer gemeinsamen Politik zwischen den Staaten, ohne Unterscheidung der Kontinente. Es erfordert Gesetze, die sich auf den Respekt für die Umwelt konzentrieren, egal um welche Produktion oder Aktivität es sich handelt, die Sie normieren. Es bedarf des Bewusstseins über den Ernst der Lage. Solange es mächtige Akteure auf dem internationalen Parkett gibt, die sogar das Problem des Klimawandels verleugnen, können die Hoffnungen nicht gestärkt werden.

MM: Der 8. Juni ist der Welttag der Ozeane, an dem wir die Schönheit des Meeres und seiner Kreaturen überall feiern, aber wir mobilisieren vor allem für verbesserten Meeresschutz. Wie siehst Du den Zusammenhang zwischen lokaler Aktion und globalen Trends?

CS: Im Zentrum der Fragestellung sehe ich von allem die Forschung und unser immenses Bedürfnis nach Daten und Wissen. Die Forschung auf See wird nicht gefördert und ihre Ergebnisse noch weniger verbreitet. Sowohl das Verhalten der Bürger als auch die politischen Entscheidungen sollen auf Forschungserkenntnissen beruhen. Heute bewegt sich die Politik auf der Basis von Daten aus dem Markt, das heißt, die Daten kommen zu spät, wenn die Katastrophen bereits eingetreten oder im Gange sind. Und die Bürger sind immer weniger kompetent und informiert und Ihrer Rolle bewusst, aber auch ihrer Rechte, vor allem das Recht auf ein gesundes und sauberes Meer, denn es produziert die Hälfte des Sauerstoffs, den wir brauchen, um zu atmen.

MM: Das Meer ernährt uns, erlaubt uns, zu atmen, ist ein Raum der uns Arbeit gibt, Kultur und Erholung. Was sind die nächsten Schritte von Slow Fish und Slow Food, um den Missbrauch zu stoppen, der immer noch die Gesundheit und das Funktionieren des Meeres und seiner Ökosysteme bedroht?

CS: Der Vorschlag, den wir während der letzten Slow Fish Messe in Genua unterbreitet haben, war, diese Stadt zu einem festen Referenzort der Reflexion und Initiativen zugunsten des Meeres und der nachhaltigen Fischerei zu machen. Wir wollen nicht nur alle zwei Jahre das große Ereignis, sondern die ständige Verpflichtung, dieses Thema an die Spitze der Gedanken von Politikern und Bürgern zu stellen und dort zu halten.

MM: Es gibt also Hoffnung und es lohnt sich, sich auch im Kleinen einzusetzen und aktiv zu sein?

CS: Hoffnung zu haben, ist eine Verpflichtung, aber da ist noch etwas mehr. Es ist das Bewusstsein, dass, wenn wir uns alle in die Richtung des Gemeinwohls bewegen, dann können wir es schaffen. Und also ja, es ist sicherlich sinnvoll, die kleinen Dinge zu tun. Es ist gut zu wissen, dass jeder minimale Beitrag, jede minimale Prävention ihre positive Wirkung zeigen wird. Es ist eine riesige Aufgabe, aber kein Riese kann es alleine machen. Wir können es nur alle zusammen schaffen, jeder mit seinen kleinen Beitrag.

MM: Was ist Dein Wunsch für den Ozean?

CS: Dass alle, Bürger, Fischer, Marktbetreiber und Politiker aufhören, das als bodenlose Grube zu betrachten, als einen Ort, den wir ausbeuten können, ohne an die Zukunft zu denken. Dass wir das Meer als Mutter betrachten, die uns jede Minute mit Leben und Nahrung versorgt. Und so sollen wir mit Dankbarkeit an den Ozean denken und zugleich niemals aufhören, ihn zu schützen.

MM: Cinzia, vielen Dank dass Du uns an Deinen Erfahrungen und Ansichten hast teilhaben lassen.