Die Universität Kiel veranstaltet eine Ringvorlesungsreihe über Menschen und das Meer, um das Wissen rund um die Ozeane zu verbessern. Sie findet im Auditorium Maximum statt und steht Hochschulmitarbeitern und Studenten sowie allen anderen Bürgern offen. Mundus maris wurde eingeladen, am 8. Januar 2020 in der Veranstaltung mit dem Titel „Fischerei- und Aquakulturerzählungen“ über die Kleinfischerei zu sprechen. Dr. Ulrike Kronfeld-Goharani von der Forschungsgruppe für Internationale Politische Soziologie (IPS) moderierte den Abend.

Dr. Christoph Zimmermann, Direktor des Ostseefischereiforschungsinstituts in Rostock, hielt vor der Diskussion mit dem Publikum als erster einen Impulsvortrag. Er griff die Presse und Umweltschutzorganisationen an, weil sie seiner Meinung nach den schlechten Zustand der Fischerei in der Welt übertrieben. Er kritisierte, dass die Berichterstattung der Medien besorgte Bürgern anhielt, dass nach massiven und gut sichtbaren Zerstörungen an Land zumindest den Ozean in Ruhe zu lassen. Stattdessen argumentierte er, dass die Menschen ihre Wahrnehmung korrigieren und erkennen sollten, dass Fisch ein besseres Lebensmittel als rotes Fleisch ist. Unter Bezug auf den US-Forscher Ray Hilborn bestand er darauf, dass die Fischereiressourcen viel besser seien als angenommen und der frühere Kieler Wissenschaftler Boris Worms sich gründlich getäuscht hatte. Der hatte gewarnt, dass das Anhalten der gegenwärtigen Trends ca. 2048 zum Untergang der Fischerei führen würde, wie wir sie jetzt kennen. In der Tat stellte Dr. Zimmermann fest, dass Extrapolationen in die Zukunft keine wissenschaftliche Methode seien und vermieden werden sollten. Das ist etwas verwunderlich, denn die Forschung soll uns ja in die Lage versetzen, besser mit zukünftigen Herausforderungen umzugehen. Er glaubte jedenfalls, dass das Auf und Ab der Fischereianlandungen mehr mit jährlichen Umweltveränderungen als mit Überfischung zu tun hätte. Er versicherte, dass eine gute Bewirtschaftung dazu geführt hatte, dass sich die Fischereiressourcen im Nordatlantik in einem recht robusten Zustand befanden. Die Reduzierung der Kabeljauquote in der Ostsee war ein Indiz dafür.

Prof. Dr. Carsten Schulz von der Gesellschaft für Marine Aquakultur mbH kontextualisierte die aktuelle globale Aquakultur und zog dazu wichtige Analysen und Trends aus dem FAO-Bericht "World Fisheries and Aquaculture 2018" heran, um das Publikum auf den neuesten Stand zu bringen. Die Aquakulturproduktion für den menschlichen Verzehr hatte 2014 den Fang von Wildfischen überholt. Etwa 85% der Produktion im Jahr 2016, dem letzten Jahr für das im FAO-Bericht Daten verfügbar waren, befand sich in Asien.

Er schätzte, dass ungefähr 600 Tierarten und ungefähr 50 Arten von Wasserpflanzen zumindest teilweise unter kontrollierten Bedingungen  verwendet wurden. An Land sind es im Vergleich nur ungefähr 45 Arten. Aufgrund der großen Anzahl von aquatischen Arten in der Aquakultur waren nur wenige, wenn überhaupt, domestiziert worden. "Kultur" bedeutete also vor allem "Mast" in Käfigen, Teichen, Raceways oder geschlossenen Systemen mit Wasserumwälzung, während Brut oder Jungtiere noch im Meer gefangen wurden.

Der Wasserverbrauch der Fischkultur ist zwar geringer als bei intensiver Tierzucht an Land, das Herausfiltern der im System anfallenden Abfälle ist jedoch schwierig und teuer. In offenen Käfigen im Meer werden überschüssige Futtermittel, Arzneimittel und Zusatzstoffe direkt in die marine Umwelt ausgewaschen. Aus diesem Grund wurde die Expansion der Lachskäfigkultur in Norwegen zum Stillstand gebracht. Darüber hinaus hatten die hohen Preise für Fischmehl starke Anreize geschaffen, nach pflanzlichen Ersatzstoffen zu suchen. In der Aquakultur müssen noch viele ökologische, technische und finanzielle Herausforderungen gelöst werden, bevor man zur Mitte des Jahrhunderts hofft, die voraussichtlich hohe Nachfrage befriedigen zu können.

Den dritten Impulsvortrag gab Dr. Cornelia E Nauen von Mundus maris. Sie konzentrierte sich auf die allgemein unterschätzte Rolle der Kleinfischerei für die lokale und sogar internationale Fischproduktion zur menschlichen Ernährung in einer globalen Marktsituation, in der Fischereierzeugnisse mit etwa 35% der Gesamtproduktion die international am meisten gehandelten Lebensmittel sind. Die Mehrheit der Fischer - Männer und Frauen - entlang der Wertschöpfungsketten der Welt sind in der Kleinfischerei (Small Scale Fisheries, SSF) tätig. Sie illustrierte ihre oft schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen anhand eines Beispiels aus der Casamance, im Südsenegal, Westafrika, wo Mundus maris einen preisgekrönten Dokumentarfilm über eine Fischerei auf Sardinellen mitgesponsert hatte. Sardinellen sind kleine schwarmbildende Fische, die geräuchert und sonnengetrocknet werden. Sie sind nicht nur an der Küste sondern auch für Menschen mit geringem Einkommen in der gesamten Sahelzone ein begehrtes Lebensmittel. Die wirtschaftliche Basis von 10 bis 20.000 Menschen war dort zerstört worden, als chinesische Fischmehlfabriken ihre Arbeitsräume besetzten und ein angrenzendes Schutzgebiet verschmutzten.

Cornelia erläuterte kurz den breiteren Kontext der Herausforderungen für die Artenvielfalt der Meere und für die Kleinfischerei, die häufig auf die illegale, unregulierte und nicht erfasste Fischerei (IUU) von Industrieflotten zurückzuführen sind. Besonders Hochseeflotten konnten nur allzu oft dank öffentlicher Subventionen eingesetzt werden. Diese Subventionen rufen perverse Effekte hervor und verhindern gleiche Wettbewerbsbedingungen. Sie sollten gestoppt werden. Bis dahin sprach sie sich dafür aus, nicht nur bekannte Verfehlungen zu beklagen, sondern auch den Kapazitätsaufbau bei Männern und Frauen in der kleinen Fischerei zu unterstützen. Ein Beispiel für eine solche Stärkung ihrer Kapazitäten waren einige interessante frühe Ergebnisse in Form der Akademie der Kleinfischerei im Senegal. Die Folien sind hier einzusehen.

Die anschließende Diskussion zwischen dem Publikum und den Rednern berührte die problematische Situation der globalen Fischerei, da die asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Fischereien - mehr als die Hälfte der Weltproduktion - überhaupt nicht in einem guten Zustand sind. Während des jüngsten internationalen FAO-Symposiums zur Nachhaltigkeit der Fischerei in Rom wurde darüber hinaus Besorgnis über das hohe Maß an IUU-Fischerei geäußert. Es gab Einigkeit bezüglich der Dringlichkeit, diese zu bereinigen, um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten. China, Taiwan, Japan, Korea und Spanien wurden als die fünf wichtigsten Ländern benannt, die die Regeln missachteten und an der IUU-Fischerei beteiligt sind. Die EU hatte die Reduzierung der IUU-Fischerei zu einer Priorität gemacht.

Während der Debatte warnte Cornelia auch, dass Fischerei- und Aquakulturbetreiber auf die Bedürfnisse anderer, oftmals mächtigerer Akteure, wie Gas-, Öl- und andere Energieinteressen, Infrastrukturentwickler, Tourismusbetreiber, Seeverkehr und andere, achten sollten. Ihr Bedarf an Meeresressourcen wuchs rapide. Es war wichtig, insbesondere die Mehrheit der Akteure in der Kleinfischerei zu unterstützen, damit sie in einer immer weiter verbreiteten Raumplanung Gehör finden und nicht etwa ignoriert und einfach ausgeschlossen werden können.

In der abschließenden Runde der Stellungnahmen machte Cornelia auf öffentlich zugängliche wissenschaftliche Quellen wie FishBase und SeaLifeBase aufmerksam. Sie betonte, es sei wichtig, neue Narrative zu entwickeln, um die Wissenschaft einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um gemeinsam Lösungen für die drohende Krise zu finden.