Mundus maris Panel bei der VII MARE Konferenz über Menschen des Meeres, mit dem Titel „Maritime Zukunften”, Amsterdam 25.-28. Juni 2013

Das Panel von Mundus maris bei der VII MARE Konferenz in Amsterdam erkundete die Bewältigungsstrategien der handwerklichen Fischerei in verschiedenen Teilen der Welt: wie diese einige ihrer Traditionen sowie die soziale Kontrolle über die wirtschaftlichen Akteure beibehalten können, die Definition ihrer Rolle in einem globalisierten Markt für Fischereiprodukte, und auch die Problematik des zunehmenden Konkurrenzdrucks um den Zugang zu den Küstengewässern, mit dem Tourismus und anderen Entwicklungen. Zwei Länder/Regionen, Senegal in Westafrika und die Philippinen in Südostasien werden verglichen und die lokalen Besonderheiten von den globalen Trends hervorgehoben. Diese Forschungesergebnisse könnten wertvoll für die Politik sein. Die Untersuchung wird die Ergebnisse einer quantitativen Rekonstruktion der Fänge der handwerklichen Fischerei in beiden Ländern darstellen als Teil der weltweiten Bemühungen des Sea Around Us-Projektes, das einen Beitrag zur Behebung der irreführenden Wahrnehmung der Marginalität der "traditionellen" oder handwerklichen Fischerei leistet. Dies wird von Videomaterial untermauert, auf dem die wichtigsten Akteure selbst zu Worte kommen und qualitative Analysen und Strategien darstellen, die von der handwerklichen Fischerei eingesetzt werden, um die Kontrolle über ihre Fähigkeit zu erhalten oder wiederzuerlangen, eine alternative Zukunft zu industriellen und anderen extern definierten Entwicklungsmodellen zu gestalten. All dies zum Teil basierend oder angereichert durch die Feldarbeit von Mundus maris.

Die Diskussionsleiterin des Panels, Cornelia E Nauen, führte in das Thema ein und skizzierte den Ehrgeiz aller Vortragenden, ein solideresVerständnis der oft komplexen Situationen vor Ort zu fördern. Um dies erreichen zu können, wurden die Beiträge vom Blickwinkel der Nachhaltigkeitsprinzipien - Ökonomie, Umwelt und Soziales - zur Analyse herangezogen, wie sich die einst traditionellen Fischereien im Kontext der globalisierten Märkten aufstellen und damit fertig zu werden versuchen. Tendenziell werden ökologische und ökonomische Perspektiven besser erforscht als soziale Fragen. Während sich verschiedene gesellschaftliche Akteure und unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen den Fragen von einer breiten Palette von Perspektiven annähern, ermöglicht dieser konzeptionelle Nachhaltigkeitsrahmen, sich auf die wichtigsten Dimensionen zu konzentrieren und darauf, welche Wechselwirkungen zwischen ihnen existieren. Die Kompromisse zwischen ihnen werden im politischen Prozess der diskursiven Politik und in den Institutionen ausgestaltet. Wenn eine Dimension stark auf Kosten der anderen begünstigt wird, ist das System wahrscheinlich nicht nachhaltig. Dies bedeutet oft, dass die Wahl nicht auf die beste technische Lösung jeder Richtung fällt. Die zweitbeste technische Lösung ist oft eher kompatibel mit der sozialen Organisation und erschwinglicher. Das konkrete Gleichgewicht widerspiegelt die örtlichen Gegebenheiten.

In diesem Rahmen, entwickelte Deng Palomares vom „Sea Around Us“-Projekt des Fischerei-Zentrums an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, ihren Vortrag mit dem Titel „Handwerkliche Fischerei: Navigieren zwischen Tradition und Moderne: Eine Sammlung von Geschichten des Überlebens in Mabini, Batangas, Philippinen“, mit einem kurzen Video über die Menschen in den untersuchten Orten. Die Leute dort hatten strukturierte Fragebögen beantwortet und an Gruppendiskussionen mit Wissenschaftlern teilgenommen. Die Durchführung dieser Studie ist Teil eines größeren Forschungsprojektes.

Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Absammeln von Tieren im strandnahen Meer mit einfachsten Geräten oder sogar ohne Netze, ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebensunterhalts und der kommunalen Fischerei vor allem in Entwicklungsländern. Allerdings werden solche Fänge nicht gemeldet und dokumentiert. In diesem Beitrag von Deng Palomares und ihren Forscherkollegen von der FishBase Informationen und Research Group (FIN), versucht sie mit J.C. Espedido, V.A. Parducho, M.P. Saniano, L.P. Urriquia und P.M.S. Yap einen historischen Überblick über diese Sammelaktivitäten in 10 küstennahen Barangays in Mabini, Batangas, zu rekonstruieren. Dies ist ein Teil von umfassenderen Bemühungen, um die realen Fänge aller Fischarten zu rekonstruieren, von denen viele noch nie aufgezeichnet worden sind. Folglich neigen die nationalen Statistiken dazu, ein unzuverlässiges Bild für Manager, Investoren und die interessierte Öffentlichkeit zu malen.

Die Interviews mit 111 Fischern zwischen 10 und 84 Jahren zeigen über acht Jahrzehnte einen allgemeinen Abwärtstrend der Fänge durch Sammeln: in den 1950er Jahren erzielte ein Sammler durchschnittlich 2 bis 2,5kg pro Stunde, in den 2000er Jahren nur noch 0,5 kg. Die Strecke, die von den Fischern zur Sammlung essbarer Meeresfrüchte zu Fuss gelaufen werden muß, hat sich von etwa 0,5m auf ca. 30m von der Küste erhöht. Das heißt, in den 50er Jahren konnte ein Sammler eine beträchtliche Menge von essbaren Meeresfrüchten in einer Fläche von einem qm erzielen (möglicherweise sogar bis zu 5kg pro Stunde). Von dieser Menge wurden ca. 20% von der Familie verbraucht und 80% mit Nachbarn oder Verwandten geteilt.

Jetzt würden die Sammler glücklich sein, 30 m vom Strand entfernt wenigstens 500 g essbare Meeresfrüchte zu finden, die nur ausreichen würden, um eine Familie höchstens zwei Tage zu ernähren. Die geernteten Meeresfrüchte, vor allem in den 1950er und 1960er Jahren, wurden nicht zum Verkauf, sondern einzig für den familiären oder gemeinschaftlichen Lebensunterhalt verbraucht. Heute wird die Tätigkeit auf das zweckgerichtete Sammeln, vor allem von Schalentieren, reduziert - andere Arten sind nicht mehr vorhanden -, die dann verkauft werden. Obwohl immer noch von grundlegender Bedeutung in den Küstengemeinden, wurde aus dem Sammeln von Meeresfrüchten als Überlebensstrategie in den 1960er Jahren eine eher luxuriöse Freizeitbeschäftigung. Wir müssen allerdings einschränkend hinzufügen, dass dieser Verlauf keinen allgemeinen Trend in den meisten philippinischen Küstengebieten darstellt, wo Armut in den Fischer-Gemeinden herrscht. Klicken Sie hier für zusätzliche Information.

Dyhia Belhabib, auch vom „Sea Around Us“-Project, fuhr fort mit dem Thema „Die Vogel-Strauß-Haltung in Senegal hat die Fischerei in eine Sackgasse getrieben“. Als Folge der weitreichenden Forschung entlang der westafrikanischen Küste, wo es lokalen Kleinfischern schwerfällt, dem Wettbewerbsdruck der senegalesischen Langstrecken-Boote und Besatzungen zu widerstehen, gab sie ihrem Vortrag den neuen Titel „Notwendigkeit oder Gier?“, um somit Licht auf die Verleugnungs-Problematk zu werfen. In einem detaillierten Forschungsbericht über den Senegal und die Nachbarländer trug sie in den letzten mindestens zwei Jahren die Daten für die Fang-Rekonstruktion zusammen, die nach anfänglicher Ablehnung der Behörden und der Forscher nun akzeptiert wurde. Ihre Ergebnisse sind wie folgt zusammengefasst:

Im Senegal sind reichlich Meeresfischarten für die Ausbeutung vorhanden. Die Fischerei erzeugt einen hohen wirtschaftlichen Wert für die lokale Bevölkerung. Diese Fischerei zeichnet sich vor allem durch eine erhebliche Anzahl von Fernfischereiflotten aus sowie eine alarmierende Zunahme der handwerklichen Fischerei. Das Ausmaß der Auswirkungen der handwerklichen Fischerei ist ebenso wenig bekannt wie das der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fänge (IUU) der industriellen Fischerei. Die Daten zur handwerlichen Fischerei beruhen auf amtlichen Erhebungen und Informationen der Fischer, während die industrielle IUU Fischerei in der Vergangenheit ständig geleugnet wurde. Große und häufige Migrationen der senegalesischen handwerklichen Fischer, Unterschätzung des Fischereiaufwandes und die Zunahme dokumentierter Fischerei-Konflikte lassen vermuten, dass die offiziell gemeldeten Fangdaten nicht die Realität widerspiegeln. Eine gründliche Literaturrecherche, ergänzt durch Experten- und Industrie- Konsultationen, stellt die Basis zur Rekonstruktion senegalesischer Fischereidaten dar. Offizielle nationale Daten wurden mit den von 1950 bis 2010 an die FAO gelieferten Daten verglichen und angepasst. Gemeldete und fehlende Sektoren, einschließlich der handwerklichen Fänge innerhalb und außerhalb senegalesischer Gewässer, des nicht-kommerziellen Sektor, der Industrie und Fänge von legalen und illegalen Flotten wurden neu bewertet. Die Auswirkungen der intensiven illegalen Fischerei auf die handwerkliche Fischerei und die Wirtschaft wurden untersucht. Die Ergebnisse zeigten starke Unter-Berichterstattung: die offiziellen Daten in der Vergangenheit waren viermal niedriger als die real gefangenen Mengen. Bis vor kurzem waren die Angaben noch 1,55 mal weniger als die tatsächlichen Fänge. Handwerkliche Fänge waren verantwortlich für die Hälfte der gesamten Extraktion in den letzten 20 Jahren im Vergleich zu rund 80% wie offiziell angegeben. Das bedeutet, industriellen Flotten fischten viel mehr als gemeldet. Während sich die Fänge von handwerklichen Wanderfischern drastisch erhöhten, verringerten sich die handwerklichen Fänge in senegalesischen Gewässern trotz steigenden Aufwands. Dies deutet auf starke Überkapazitäten hin. Illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei (IUU) Fänge im Wert von rund 300 Millionen US $ pro Jahr wurden auf hoher See umgeladen, versteckt oder auf See weggeworfen und führten zu starken wirtschaftlichen Einbußen. Sie zwangen einen großen Teil der handwerklichen Fischer aus dem Senegal ins Exil. Diese Migration ist eine Strategie, um die erlittenen Verluste auszugleichen. Sie soll sowohl den Verlust an Nahrung als auch Einkommensverluste kompensieren, eine Mischung von Notwendigkeit und Habgier. Klicken Sie hier für die PowerPoint-Präsentation.

Im Anschluss an diese Neubewertung und Quantifizierung der Produktion, die wie ein Weckruf waren, erarbeitete Aliou Sall, ein Sozio-Anthropologe aus dem Senegal, die soziale Dimension dieser Entwicklungen. Er stellte auch die scheinbar paradoxe Situation dar, dass, obwohl die handwerklichen Fischer kaum von offiziellen Regeln und Vorschriften eingeschränkt werden, sie dennoch eine Erosion ihrer Lebensgrundlagen und politischen Einflußmöglichkeiten erleben.

Dieses Bild einer tiefen Krise der handwerklichen Küstenfischerei in Senegal ist stimmig mit den quantitativen Einschätzungen von Ökonomen und Biologen. Basierend auf Interviews mit Vertretern der Fischerei-Gewerkschaft und lokalen Vereinigungen sowie qualitative Beobachtungen in den letzten Jahren wurden andere Interpretationshilfsmittel entwickelt, so dass die Erklärungen der Krise für die sozialen Akteure leichter zugänglich wurden.

Die Krise in der Fischerei ist nicht nur manifest im Sinne von einer „Verschlechterung der sozio-ökonomischen Bedingungen“. Darüber hinaus hat die Globalisierung deutlich die Fähigkeit der Akteure eingeschränkt die Marktbedingungen zu verhandeln, und zwar sowohl mit politischen Entscheidungsträgern als auch mit der Wirtschaft, die zunehmend die Regeln der internationalen und lokalen Märkten diktiert.

Aliou Sall stellte dar, wie die traditionellen Fischergemeinschaften mit diesen Herausforderungen umgehen. Sie bemühen sich nicht nur um den Erhalt oder die Wiederherstellung einer „wirtschaftlich und ökologisch vertretbaren“ Aktivität, sondern repräsentieren auch eine bestimmte „Art zu leben“. Die Fischer, Fischhändler und Frauen aus der Fischverarbeitung passen ständig ihre Strategie zu diesem Zweck an. Die brutalen Auswirkungen der Globalisierung haben die Frauen in der Fischerei selektiv betroffen in dem Maße, dass wir heute über die „Feminisierung der Armut in der kleinen Küstenfischerei“ sprechen. Die traditionellen Rollen als (oft versteckte) Investoren und Führungskräfte in der handwerklichen Fischerei werden untergraben durch den Zustrom von Fremdkapital, das nicht der sozialen Kontrolle unterliegt, und durch einen allgemeinen Trend zu Überkapitalisierung. Die unaufhaltsame Expansion aller Segmente der Fischerei hat die einstmals produktiven marinen Ökosysteme in einen traurigen Zustand versetzt und den früheren Respekt für Zurückhaltung in der Rohstoffnutzung im Kontext traditioneller sozialer Einstellungen ausgehölt. Der Autor argumentiert, dass die Krise durch mehr Partizipation und sektorübergreifende Ansätze zu meistern ist. Diese Formen des Regierens und der Organisation der sozialen Beziehungen sollten sich auf starken demokratischen Institutionen stützen, die Potenzial haben, dem Ansturm auf die natürlichen Resourcen zu widerstehen.

Man sollte das Beste der traditionellen Überzeugungen und Praktiken und der Modernität verbinden. Vorschläge für notwendige Übergänge zu einer nachhaltigen partizipativen Regierungsweise wurden vorgetragen. Ansatzpunkte könnten die Verbesserungen der Lebensräume an den Küsten sein, von der nicht nur die Fischer profitieren, sondern auch andere, darunter die Kommunen, Tourismus-Betreiber und andere Bürger. Kollektiv umgesetzte Maßnahmen wie das Säubern der Strände würde auch Vertrauen zwischen den verschiedenen Interessengruppen aufbauen, die derzeit sehr wenig miteinander zu tun haben. Klicken Sie hier, um die PowerPoint-Präsentation zu sehen.

Im Anschluss an diese Präsentationen, formulierten Teilnehmer aus dem Publikum zahlreiche Fragen und Kommentare, viele speziell zugeschnitten auf die eigene Lebenerfahrungen während der letzten Jahrzehnte im Senegal. Das Interesse war lebhaft und hielt die Teilnehmer zusammen, so dass sie sogar einen Teil des anschließend stattfindenden Cocktails verpaßten.

Ältere Teilnehmer fragten, ob der neue Titel für die Rekonstruktion der realen Fänge im Senegal „Notwendigkeit oder Gier?“ nicht zu polarisierend und wertbeladen sei. Dyhia Belhabib blieb bei ihrer Änderung und antwortete, die erhobenen Daten rechtfertigten eine schärfere Formulierung des Titels. Ihrer Meinung nach sind dringend Maßnahmen erforderlich, um die praktischen Konsequenzen aus der neuen Quantifizierung zu ziehen. Die Fischerei müsse wieder in Einklang mit den Regeln zurückfinden und die Ausbeutung des Meeres eine Ebene erlangen, die kompatibel mit den regenerativen Fähigkeiten der marinen Ökosysteme sei.

Man war sich einig, dass der soziale Fortschritt, nicht nur im Senegal, sondern auch anderswo einfacher wäre, wenn die zerstörte Produktivität der Ökosysteme wiederhergestellt würde. Alle an einen Tisch zu bringen, um den politischen Willen und die Unterstützung für drastische Anpassungen zu legitimieren, das ist eine große Herausforderung. Insbesondere, wie kann eine Kontrolle über das Auf und Ab der internationalen Märkte erlangt werden, die transformative Auswirkungen gleichermaßen auf die Gesellschaften und die Ökosysteme haben? Sich nur auf die Zyklen einzulassen, hatte jedenfalls bis auf wenige Nutznießer nur schlimme Auswirkungen für die große Mehrheit. Die Intensivierung der Bemühungen zur Regenierung von marinen Ökosystemen, die Kontrolle der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei und die Förderung einer besseren Integration der sozialen Dimension in die Entscheidungsfindung wurden als die vielversprechendsten Wege zur Lösung dieses komplexen Problems aufgezeigt. Es war in der Diskussion aber auch klar, dass dauerhafte Lösungen nur gelingen, wenn die allgemeinen Bedürfnisse und jeweils der spezifische Kontext berücksichtigt werden, sei es in Batangas auf den Philippinen, im Senegal oder in anderen Ländern oder Regionen. Grössere Forschungsanstrengungen werden hier benötigt, vorzugsweise solche, die sich kritisch mit den gesellschaftlichen Akteuren auseinandersetzen und auf sie einlassen. Auf diese Weise leistet die Forschung noch am ehesten einen nützlichen Beitrag zum sozialen und politischen Verhandlungsprozess.